Feuer-Werk

Chinese New Year

Dass die Chinesen ihr Neujahrsfest nicht nach dem Westlichen Kalender Feiern, hatte ich irgendwo schonmal gehört. Dass sie es lautstark mit Feuerwerk zelebrieren, konnte ich mir aus den in Deutschland als Chinaböller bekannten Knallkörpern zusammenreimen. Dass das Feuerwerk in dieser Nacht seinem Namen alle Ehre machen würde, sollte ich noch herrausfinden.

Das so genannte Spring Festival findet im Winter (Januar oder Februar) statt, ist auf den chinesischen Bauern- oder Mondkalender bezogen und leitet ein neues Tierjahr ein. In diesem Jahr das Jahr des Hasen. Aus diesem Grunde grinsen einem bunte Comic-Hasen aus Pappe von jeder dekorierten Wand an. Hierzulande ist es der höchste Feieratag, und weist in vielen Punkten eine verblüffende Ähnlichkeit mit der westlichen Kombination aus Weihnachten und Silvester auf. Ganz China hat frei und fährt zu seinen Eltern, besucht seine Verwandten, trifft Freunde aus der Heimatstadt, feiert mit der Famile den Jahreswechsel und spielt, so mein Kollege, exzessiv Mahjong. Neben dem spielen und natürlich dem Essen im Kreise der Familie wird heutzutage gerne gereist, so es die Kasse erlaubt, oder Feuerwerk verbrannt. Und das nicht zu knapp.

Feuerwerk

Firework Stand

Das, was sich am chinesischen Neujahrstag hier abspielt ist sehr schwer in Worte zu fassen. Nicht nur, dass man an jeder Straßenecke hüfthohe Mörserbatterien kaufen kann, die auf dem Niveau von einem professionellen Feuerwerk in Europa sind, sie sind dazu spottbillig und jeder kauft, was er sich leisten kann. Eine Woche lang. Am Neujahrstag um 23:00 herrscht Krieg. Würden nicht Heerscharen von Straßenfegern und Alpapiersammlern die Überreste beseitigen, stünden die Papierfetzen von abgebrannten Ketten mit vielen Tausend Knallern wahrscheinlich kniehoch. Im Gegensatz zu vielen Kollegen, die die Neujahrsferien zum Reisen nutzen, verbrachte ich den Jahreswechsel im kleinen Kreis in Shenyang.

Chronik

8:00 Uhr: Ich werde geweckt von einer Reihe Mark erschütternder Explosionen. Der vorige Abend war etwas länger, daher versuche ich, noch ein wenig weiter zu schlafen. Mit mäßigem Erfolg. Die bösen Geister werden mit dem Krach vertrieben. Dummerweise haben sich die böse Geister des Vorabends in meinem Kopf eingenistet und räumen das Feld nicht kampflos.

Fireworks

11:00 Uhr: Ich bewege mich vom Bett zum Sofa, wo ich die nächsten Stunden verbringen werde. Da wir dumm genug waren, nicht reichlich einzukaufen, und alle Läden und Restaurants geschlossen haben, bestellen wir bei dem 24h-McDonalds-Lieferservice. Unsere Gruppe ist klein, und das Gefühl der Verlorenheit in der Achtmillionenstadt, das wir schon von Weihnachten und Silvester kannten, breitet sich aus. Es ist in etwa so, als säßen wir in unserem Wohnzimmer auf dem Meeresgrund, umgeben von den Flammenkorallen des Feuerwerks, die uns immer wieder zum Fenster eilen lassen. Ab und zu kommt der McDonalds-Mann.

17:00 Uhr: Als die Dunkelheit hereinbricht, nimmt das Feuerwerk zu. Die Gebäudebeleuchtung des 219 Meter hohen Dynasty Wanxin Gebäudes gegenüber gibt dessen goldener Fassade seine majestätische Note. Weil wir noch andere Versorgungsengpässe haben, machen wir uns auf den Weg zum Supermarkt auf unserem etwas runtergekommenen Luxus-Compound. Dort angekommen bekommen wir einen ersten Vorgeschmack, was uns erwartet. Wie wahnsinnige Feuerteufel springen Chinesen zwischen Feuerspuckenden Kisten und brennenden „Teppichen“ herum, entfachen immer neue Spektakel. Es regnet Papierfetzen und Sand.

ca. 23:30 Uhr: Als vor dem Hotel gegenüber ein voll beladener Lastwagen seine großen Kisten aus bunt bedrucktem Papier auf zwei Spuren der achtspurigen Straße verteilt, sind wir wieder in unserem Wohnzimmer, ca. 70 m über dem Meeresgrund. Der nun folgende Angriff  ist von beängstigender Schönheit. Der Knall, mit dem sich die Feuerblumen nur wenige Meter vor unseren Gesichtern entfalten, geht durch Mark und Bein, die bunt leuchtenden Kugeln hinterlassen graue Brandspuren, als sie an mein Schlafzimmerfenster treffen.

Firework close to OUR building

ca. 1:00 Uhr: Das Feuerwerk lässt nach, und aus einer Art Silvester-Reflex verlassen wir unsere Wohnung, um das Nachtleben der Neujahrsfeier zu erkunden. An der Straße warten wir auf ein Taxi. Das einzige was wir sehen, ist eine zunehmende Anzahl an Feuerwehrfahrzeugen. Wir sehen nach. Ein gelblicher Schimmer in der von Pulvernebel dunstigen Luft verrät es:  die uns abgewandte Seite des Turm B des Wanxin Dynasty Buildings steht über eine Höhe von gut 20 Stockwerken in Flammen. Beeindruckt von dem zerstörerischen Hunger des Feuers, das nach und nach auf den mittleren der 3 Türme übergeht, stehen wir ca 100 Meter entfernt, bis uns ein Hagel aus brennenden Blechstücken der Fassadenverkleidung zum Rückzug zwingt.

The Fire

ca. 3:00 Uhr: Auf Umwegen gehen wir zurück in unsere Apartments, weil die Gegend weitläufig abgesperrt ist. Unterwegs treffe ich einen Bekannten, der im Pyjama mit Daunenjacke und fassungsloser Mine den brennenden Turm B anstarrt. Abgesehen von den Kleidern am Leib hat ihn das Schicksal gerade von all seinem materiellen Ballast befreit, er wohnte im 17. Stock. Er erzählt mir, dass weder Rauchmelder noch Sprinkleranlage in dem nur wenige Jahre alten Gebäude funktioniert hätten. Damit haben die Flammen leichtes Spiel, denn der längste Löschausleger der Feuerwehr reicht nur auf 50 Meter hinauf – bei über 200 Meter Gebäudehöhe.

ca. 4:00 Uhr: Die folgende Stunde stehen wiederholt sechs Polizisten in unserem Appartment, die uns zum verlassen des Gebäudes überreden wollen. Da uns der Einsturz unseres Gebäudes weniger wahrscheinlich erscheint, als bei tiefen Minusgraden auf der Straße zu erfrieren, kommen wir, abermals auf Umwegen, wieder in unsere Wohnung.

ca. 6:00 Uhr: Als abzusehen ist, dass der Brand unter Kontrolle ist, lege ich mich schlafen.

Smokingca. 7:00 Uhr: Lauter Krach weckt mich. Panisch falle ich aus dem Bett und renne zum Fenster, den einbrechenden Turm schon vor Augen. Der Turm steht noch, friedlich vor sich hin qualmend. Jemand hat die erste Bombenkette des Tages gezündet. Das Feuerwerk geht weiter.

Links

Guter Artikel über das Feuer im Wall Street Journal

Schall und Rauch

Dass Namen Schall und Rauch sind, rede ich mir auch immer gerne ein, weil ich Sie mir fast so schlecht merken kann, wie Jahreszahlen. Hätte jedenfalls Goethe (oder sein Herr Dr F.) die Möglichkeit gehabt, das Shenyang des 21. Jahrhunderts zu bereisen, so wäre er zweifelsohne zu dem Schluss gekoemmen, dass diese Metapher nicht nur auf Namen passt, sondern auch sehr gut auf Shenyang.

Schall

Oder auch: Hupen. In Deutschland kann es einem gut passieren, dass man einen Defekt an seiner KFZ-Hupe zunächst nicht besonders schnell bemerkt. Vielleicht sogar erst bei der Hauptuntersuchung, so selten ist sie in Gebrauch. In Shenyang käme der Ausfall der Hupe eines Autos in etwa dem Verlust aller Rückspiegel und Scheinwerfer gleich. Der chinesische Autofahrer blickt nur nach vorne. In alle anderen Richtung wird gehört. Erklingt nach dem Einschlagen auf eine Nachbarspur kein Hupen hinter einem, so hat man frei Fahrt. Ähnlich einer Fledermaus orientiert man sich hier mittels Schall. Zugleich ist die Hupe wie in Deutschland ein Ventil für Wut und Angst, wird nur deutlich häufiger verwendet.  Auch habe ich schon Taxifahrer an einer roten Ampel in fünfter Reihe dauerhupen hören, ohne dass wenigstens theoretisch die Chance auf ein Vorankommen bestanden hätte.

Es gibt viele weitere Beispiele für Lärm, die teils auf Shenyang, teils auf ganz China zutreffen. Eher Shenyangspezifisch ist wohl, dass sich die Geschäfte in den Einkaufsstraßen (den westlichen übrigens sehr ähnlich) mit dem Schalldruck ihrer Pop- und Technomusik gegenseitig zu übertreffen versuchen. Das ganze ergibt ein wirred Dezibel-Inferno, das bei Ruhe liebenden Menschen sofortiges erbrechen auslösen muss. Weitere Quellen akustischen Terrors sind Handyklingeltöne oder Megaphone von Strassenverkäufern. Nach einigen Wochen schafft man es allerdings zumeist mühelos, die spontane Lust, gegen die Lärmquellen mit Gegenständen oder nackten Fäusten vorzugehen, zu unterdrücken. Man freut sich daran, ein Stück gelassener geworden zu sein.

Rauch

Gelassener werden muss man auch in Sachen Rauchtoleranz. In China raucht man wenig, aber dafür oft, und dann viel.* Wie liberal das Thema Rauchen hier gehandhabt wird, beschreibt dieser Tagesschau-Artikel sehr zutreffend. In einem Restaurant wird in einer Essenspause gerne mal eine geschmökt, natürlich auch danach, geascht wird auf den Boden oder auf leer gegessene Teller. Zigaretten werden allen angeboten, Zigaretten sind auch beliebte Geschenke, die Pro Schachtel dann statt 60 Cent happige 8 Euro oder mehr kosten. Die Tabakläden in denen es diese aufwändig vergoldeten Prunkzigaretten gibt, sind luxuriös mit Regalen aus edlen Hölzern und Halogenspots ausgestattet. Soviel Wert auf Ambiente legt man normalerweise eher selten im chinesischen Einzelhandel. Geraucht wird auch im Spa-Bereich eines Badehauses oder in der Umkleide eines Fitnessstudios.

Wer beim Lesen der Einleitung an Smog oder schlechte Luft gedacht hat: Die Luft in Shenyang ist ziemlich gut (jedenfalls draussen), um längen besser als in Peking. Nur manchmal, wenn die gelbliche Rauchfahne des zentral gelegenen, riesigen Kohlekraftwerks über mein Viertel treibt, riecht es unschön nach Schwefel.

Staat und Banken

Ich habe mir eigentlich vorgenommen, nichts über Dinge zu schrieben, von denen ich keine Ahnung habe, aber wenn ich das hier richtig verstehe, passt es wohl in die Kategorie Sind-die*-eigentlich-korrupt-oder-bescheuert:

Im Telepolis-Artikel über Geld (II) steht folgendes:

[…] Eine Bank kann sich also 1.000 Euro für 1% von der EZB leihen, kriegt vom Staat 2,5% Zinsen und macht 1,5% Zinsgewinn. […]

Da stellt sich unweigerlich die Frage, warum der Staat seine Schulden nicht direkt für 2,5% – oder gar zu einem niedrigeren Zinssatz – bei der EZB aufnimmt oder warum er sich nicht wenigstens über einen öffentlichen Staatsfinanzierer wie die KfW refinanziert, deren Gewinne ins Staatssäckel zurückfließen? […]

Rund 40 Milliarden Euro (mit steigender Tendenz) muss der Bund Jahr für Jahr für den Zinsdienst bereitstellen. […]

(Ich vermute, der Auto wollte sagen, dass sich die Banken auch mehr als 1000 Euro leihen können.)

Der Fiskus drückt also jährlich einige Milliarden völlig unnötig an die Banken ab. Demzufolge verdienen diese Banken auch kräftig daran, wenn der Staat fleißig Kredite aufnimmt, um zum Beispiel… Banken zu retten! Wie praktisch!

Jetzt mal ein kleines Rechnerisches Laienspiel: Nach dieser sehr informative Seite zahlt der Bund jährlich für Bundesanleihen, Bundesobligationen und Bundesschatzanweisungen (die sich vor allem in der Laufzeit unterscheiden)

25,1 + 5,4 + 2,7 = 33,2 Milliarden Euro an Zinsen.

Das hieße Schlimmstenfalls, das der Bund nach obigen Zahlen ca 20 Milliarden Euro den Banken überlässt, ohne dass sich mir ein Grund dafür erschließen würde (mal abgesehen von dem recht unwahrscheinlichen Fall eines deutschen Staatsbankrottes…)

Vielleicht kann es mir jemand erklären?

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*) die, hier verwendet als sogenanntes Verschwörungstheoretiker-die, einer Unterform des Demonstrativpronomens, das soviel heisst, wie die Konzerne, die Machthaber, die Verschwörer oder einfach: die Bösen.

China//Internet

Dass die chinesische Führungsriege den Nutzen des Internets besser verstanden hat, als man das von den meisten deutschen Politikern behaupten kann, habe zum ersten mal bemerkt, als ich mit einem inneren Grinsen die Broschüre „Das Internet in China“*aus einem Infoständer im Visabüro der chinesischen Botschaft in Hamburg zog. Diese Broschüre berichtet ausführlich und in stolzem Ton von dem Erreichen des Plansolls in Sachen Netzausbau und Netzabdeckung für mobiles Internet, vor allem in ländlichen Gebieten**. Die Zensur wurde nur in einem kurzen Absatz erwähnt; sinngemäß hieß es, dass es die chinesische Führung für nötig hält, das Angebot des Internets einzuschränken. Stimmt wohl.

In China spricht man auch gerne von der Harmonisierung des Internets oder dem Goldenen Schild. Wenn es um blumige Neusprech-Kreationen geht, macht den chinesischen Propagandabehörden so schnell keiner was vor. Da ich nicht besonders qualifiziert bin, mich über die technische Seite der Zensurinfrastruktur auszulassen, werde ich nur aus der Sicht eines Nutzers berichten. Dass es in China eine Zensur des Internets gibt, war mir die ganze Zeit klar, allerdings nicht das Ausmaß derselben. Um es kurz zu machen, das Internet ist zu sehr weiten Teilen wie gewohnt nutzbar: Onlinebanking, Flugbuchungen, Webzugriff auf Emailprovider oder Google.de sind (fast) kein Problem. Auch wenn die Seiten der deutschen und internationalen Presse in der Regel erreichbar sind, der ungehemmte Informations- und Meinungsaustausch wird zu verhindern versucht:

Folgende, mir wichtige Seiten oder Services sind nicht erreichbar (unter vielen anderen):

  • twitter
  • facebook
  • youtube
  • die Domain des Chaos-Computer-Clubs
  • der download vom Verschlüsselungsprogramm Truecrypt
  • der Mailversanddienst von GMX (SMTP)
  • temporär die Seiten von BBC oder CNN oder anderen westlichen Medien (vermutlich solange unbequeme Nachrichten auf der Startseite erscheinen)
  • picasa

Folgende wichtige Seiten sind nur teilweise zu laden oder auffällig langsam:

  • Wikipedia
  • flickr.com
  • die Mediathek der öffentlich-rechtlichen

Gerade durch den erschwerten Zugriff auf Nachrichten, Magazinsendungen und Dokumentationen via Youtube und Mediathek fühle ich mich besonders gepiesackt, sind diese doch sonst so bequeme Informations- und Bildungsquellen.

Parallelgesellschaft

Das Gros der Chinesen nimmt das Internet gar nicht so sehr als zensiert war, denn es gibt ein chinesisches Google (Baidu), ein chinesisches Facebook (Renren), ein chinesisches Ebay (TaoBao), ein chinesisches ICQ (QQ),  ein chinesisches Youtube (Tudou) und neuerdings ein chinesisches Twitter, betrieben und harmonisiert von der Regierung. Der Messengerdienst QQ ist dabei so beliebt, dass man von jungen Leuten eher nach seiner QQ-Nummer als nach seiner Handynummer gefragt wird.

Jumping the Wall

…so nennen es chinesische Bekannte, wenn Sie ihre nationale Great Firewall hinter sich lassen um unharmoniesierte Datenwelten zu bereisen. Was Sie dort machen, habe ich noch nicht gefragt. Aus Angst diese in Verlegenheit oder Schwierigkeiten zu bringen, verkneife ich mir in der Regel Fragen zu politischen Themen, zumal diese auch bei ungeschickter Formulierung als westliche Überheblichkeit durchgehen können. (Der Konfuzianist kehrt erstmal vor der eigenen Haustür…) Offensichtlich lässt sich der Meinungsaustausch im harmonisierten Netz auch nicht ganz verhindern, wie dieser Artikel zu berichten weiß.

Die gängigen Mittel, über die Mauer zu springen, sind bei den Deutschen natürlich VPNs, also verschlüsselte Tunnel, deren Ausgänge an deutschen Knotenpunkten liegen, meist den Unis. In meinem Fall ist mein Uni-Netz so beschränkt und verstümmelt, dass es vollkommen unbenutzbar ist, daher hab ich meinen eigenen VPN-Knoten ohne Restriktionen, dafür mit sehr überschaubarer Bandbreite (DSL-Upstream). Eine weitere Alternative sind werbegespickte Tunnelseiten (vtunnel.com) oder kostenpflichtige VPN-Anbieter wie Swiss-VPN (Gröߟenordnung 6€/Monat). Bei einer armseligen Bandbreite -also in meinem Fall- bietet sich für den Youtube-Konsum ein Download-Plugin für die Videos an, um gemütlich im Hintergrund laden zu können.

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*) Die Broschüre liegt beim Verfassen dieses Textes nicht vor, Angaben zu Namen und Inhalt sind aus dem Gedächtnis rezitiert.

**) Das die Broschüre hier nicht lügt, zeigt sich an einer Eigenheit: der mobile Onlinezugriff (Kosten ca 2€ für 150MB pro Monat) scheint besser zu sein, wenn man sich von den strukturstarken Ballungsräumen wegbewegt. Vielleicht liegt das daran, dass die dort plangemäß aufgebaute Infrastruktur nicht so überlastet ist, wie in den Großstädten mit ihren vielen, reichen HTC- und iPhone-Besitzern. Soweit ich mich erinnere, verhält es sich mit der Netzqualität Deutschland eher umgekehrt… jedenfalls bekommt man was für sein Geld, flickr ist über das mobile Netz ohne Probleme zu erreichen,  im Kabelnetz ist das nicht der Fall.

Kill the Messenger!

Die Welt bläßt zur Treibjagd auf Julian Assange stellvertretend für Wikileaks. Aus politischem Druck oder (noch schlimmer) vorrauseilendem Gehorsam wollen alle die Überbringer der brisanten Informationen stoppen:

  • Amazon kündigt Server-Dienstleistung für Wikileaks
  • Visa und Mastercard sperren Wikileaks-Konten (Das Jugendmagazin des Ku Klux Klan kann man Beispielsweise weiterhin mit Mastercard bezahlen)
  • Paypal beschlagnahmt eigenmächtig 10.000€ der Wau Holland Stiftung, die in Deutschland zweckgebunden Spenden für Wikileaks sammelt (die Stiftung hat geklagt)
  • Eine Schweizer Bank kündigt Julian Assange aus fadenscheinigen Gründen sein Konto (in der Schweiz ist man ja bekanntlich wählerisch, was die Bankkunden angeht…)
  • So wie es aussieht, lässt auch der Dienst Twitter das Thema Wikileaks nicht auf seiner „Top-Topics“-Liste auftauchen.

Dazu kommen noch unzählige etablierte Medien, die im einen Artikel über die Enthüllungen von Wikileaks berichten, und sich im nächsten darüber aufregen, dass man solche Informationen ja nicht veröffentlichen dürfe. Ob das primitiver Neid der nicht-eingeweihten Redaktionen ist, oder eine grundsätzliche Unkenntnis der Idee der Demokratie*, kann man schwer sagen. Wahrscheinlich sieht sich das zentralistische Medienwesen bedroht von Wikileaks und Blog-Schreibern mit journalistischem Anspruch.

Julian Assage hat sich kürzlich gestellt, um zu den Vergewaltigungsvorwürfen Stellung zu nehmen. Natürlich freuen sich die USA über das Ende der „Verbrecherjagt“. Dass gegen Julian Assange in den USA keine Anklage vorliegt, stört wenig. Sollte er ausgeliefert werden, könnte man Ihn offiziell als Terrorist deklarieren, und die bekommen in den Staaten bekanntlich sowieso keinen Gerichtsprozess.

*)…der Demokratie, deren fester Bestandteil doch eine Aufklärung des Volkes über die Fakten sein muss, damit dieses souverän entscheiden kann. Oder hab ICH da was falsch verstanden?

Nachtrag: Allerdings scheinen doch nicht ALLE wahnsinnig geworden zu sein: Australien sagt konsularische Hilfe für J.A. zu, und die FDP kritisiert die USA für die Einschränkung der Pressefreiheit.

Wikileaks: Prost!

War es richtig von Wikileaks, die diplomatischen Depeschen der Vereinigten Staaten zu veröffentlichen?

Craig Murray, ehemaliger britischer Diplomat bringt es auf den Punkt:

[…] Those who argue that wikileaks are wrong, believe that we should entrust the government with sole control of what the people can and cannot know of what is done in their name. […]

Raise A Glass to Wikileaks“ November 29, 2010

Aha! Dokumentarfilme

Falls Ihr euch jemals gefragt habt, wie es zusammenpasst, dass einige Dokumentarfilmer, die unter anderem an der brutalen, markwirtschaftlichen Weltordnung herumkritisieren,  gleichzeitig ihre selbstlose Botschaft für eine bessere Welt nur denjenigen zur Verfügung stellen, die das Geld für die DVD oder den Kinobesuch aufbringen können:

Ich stieß gerade auf diese Seite, die Dokumentarfilme mit Einverständnis der Rechteinhaber (jedenfalls schreiben sie das) frei zur Verfügung stellt. Hut ab vor den Rechteinhabern. Das riecht gefährlich nach Idealismus, macht sich aber sicher auch gut im Glaubwürdigkeitsportfolio für zukünftige Produktionen.

Peking: Dächer

Solange sie noch frisch sind: Hier die Eindrücke von ein paar Tagen und gefühlten 50 km Fußmarsch durch Peking:
Ja, sicher, die Dachkonstruktionen von Tempeln und historischen Gebäuden schauen sich sehr schön und bunt an. Sicher sind die Dachformen das architektonische Aushängeschild Chinas, deswegen findet sich wohl an fast jedem wolkenhohen Glaspalast in den neuen Businessbezirken ein geschwungener Dachvorsprung als schmuckes Zierelement. Wer allerdings bei seinem Pekingbesuch den 3. historischen Bau besucht hat, den werden die Dächer allein nicht mehr begeistern. Gut also, dass in allen Reiseführern über Peking zumindest am Rande die Hutongs empfohlen sind, jene engen Gassen, dicht an dicht mit einstöckigen Häuschen gesäumt. Hier findet das Leben mit solch einer Gelassenheit statt, als wären die 12-Spurigen Hauptverkehrsadern der Metropole Kilometerweit entfernt. Tatsächlich scheinen die (auch hier) geschwungenen Dächer den Schall zu schlucken, so dass man im Zentrum einer 15-Millionen-Metropole die Blätter der Bäume im Wind rauschen hört.
Ein Schanze-Äquivalent für Freunde von künstlerischen Dingen und Milchkaffee hat sich auch in solch einem Hutong angesiedelt: Luogu Alley. Wer einige Wochen in China verbracht hat, dem ist klar, dass es Live-Jazz und guten (heisst: kein Dosen-/Instant-) Kaffee nicht gerade an jeder Ecke gibt, und weiss diesen Ort sehr zu schätzen. Besagtes „Livestyleviertel“ ist schmuck renoviert, voller Läden und Denkmalgeschützt. Das trifft auf viele andere Hutongs, die unberührt und unrenoviert geblieben sind leider nicht zu. Obwohl hier und da zarte Pflänzchen des Protests gegen einen geplanten Abriss spriessen, droht vielen Hutongs wohl die Demolierung zugunsten eines neuen Glaspalasts.

Nachtleben in China

Wäre meine Unsterbliche Seele™ vor meiner Geburt nicht in einen abendländischen Körper eingefahren, sondern in den eines unterdurchschnittlich wohlhabenden Chinesen, könnte meine Abendgestaltung in etwa so aussehen: An einem lauen Abend würde ich im Kreise meiner Freunde auf einem breiten, innerstädtischen Gehweg oder in einer Seitengasse auf niedrigen Klapphockern sitzen und Karten oder chinesisches Schach spielen. Zum essen gäbe es Grillspiesse von einer kleinen Garküche. Dazu würden kalte und eingelegte Salate (ähnlich Kimchi) und reichlich Bier und chinesischer Reisschnaps gereicht. Als Fingerfood wären eingelegte Erdnüsse oder Bohnenschoten die erste Wahl. So sitzend und trinkend liesse es sich bis spät in die Nacht aushalten. Wäre ich einer der überdurchschnittlich reichen Chinesen, sähe der Plan sehr viel westlicher aus: mit teuren Autos in teure Diskotheken fahren, um dort möglichst wirksam sehr teure Getränke zu kaufen (flambierte Gläserpyramiede, Fünfliterflasche Edelvodka, Hauptsache: Auffallen). Die Diskotheken kosten keinen Eintritt und sind vollgestopft mit blinkenden Kronleuchtern, Bildwänden, haufenweise DJs, Livesängern und teils sehr peinlichen Showacts, die wohl besonders unverkrampft wirken sollen. Will man sich an einen Tisch setzen, muss man den erst mieten. Mieten kann man auch die Hinterzimmer, in denen man seine privaten KTV, also Karaoke-Feten zelebriert (Nutten/Koks?). Party 98 In solchen Clubs kostet ein Bier mitunter soviel, wie der ganze Abend in der Garküche. Die Musik ist eine, meist mit House-Beat unterlegte Mischung aus betagtem Pop, den Clubcharts, Sino-Schlagern und Evergreens. Was in diesen Clubs auffällt, ist der (sonst in China nicht sehr ausgeprägte) Hang zur technischen Perfektion. Beschallung, Beuchtung und Einrichtung sind durchgängig auf vergleichweise sehr hohem Niveau. Die dritte Möglichkeit, den Abend zu verbringen ist, nach Einbruch der Dunkelheit einem Park aufzusuchen. Hier trifft man auf Leute aus allen Altersgruppen, die zu Musik aus mitgebrachten Stereoblastern Formations- oder Standardtänze einüben. (Dazu siehe auch: Sport) Klassisch westliche Bars sind rar und meistens fast ausschließlich von Westlern oder westlich geprägten Chinesen besucht. Ein chinesischer Arbeitskollege mit Ziegenbärtchen, der sich als Verneigung von der skandiavischen Metalszene den West-Namen Sven gab, sagte mir, dass es vor ein paar Jahren, als er noch seine (übrigens durchaus hörenswerte) Metalband (Link folgt!) in Dalian hatte, auch in Shenyang noch einige Musikkneipen gab, diese aber inzwischen geschlossen hätten. In -durch Status oder Geschichte- westlich orientierteren Städten wie Peking oder Shanghai ist das Spektrum der Möglichkeiten für die Abendplanung natürlich ungleich größer. Mehr dazu kommt noch.

Editorial

Dieses Blog wollte ich schon seit Jahren aufsetzen, um endlich als intellektueller Viel-und Querdenker mit aufregendem Lebenswandel entdeckt und gefeiert zu werden. Neben wenig schlauen Einfällen und einem langweiligen Leben hielt mich vor allem meine Faulheit davon ab, meine Gedanken mit der Welt zu teilen. Da ich jetzt zum ersten etliche Wochen China-Aufenthalt hinter mir und zum zweiten vier Stunden Zugfahrt vor mir habe, werde ich diese mal nutzen, meinen ersten Eintrag zu verfassen. Huii!
Für alle, die mich nicht persönlich kennen oder nichts davon mitbekommen haben: Ich arbeite seit August 2010 für ca. 6 Monate in der Volksrepublik China, genauer gesagt in Shenyang, einer Industrie- und Provinzhauptstadt im Nordosten des Landes mit lächerlichen acht bis neun Millionen Einwohnern. Soweit das nicht wieder an meiner Faulheit scheitert, werde ich hier erstmal ein wenig über China schreiben.
Hiermit möchte ich zunächst schließen und Ihnen, geneigter Leserin, geneigtem Leser, an dieser Stelle schon mal für die aufgebrachte Geduld danken.
Ach ja, meine Kommentarspalten sind so Troll-freundlich wie möglich eingestellt, ich bitte also um rege Beteiligung und um reichlich unqualifizierte Kommentare, die ich selbstverständlich hemmungslos zensieren werde, wenn sie mir nicht passen! Danke!