Archiv der Kategorie: China

Lijiang

Lijiang ist, so könnte man sagen, die chinesische Antwort auf Europas Strassbourg. Kleine, niedliche Häuser bilden die von Kanälen durchzogene Altstadt. Es ist touritisch, oh ja, aber da ich zu einer kalten Jahreszeit hier eintreffe, halten sich die flanierenden Massen in engen Grenzen. Wenigstens ausserhalb der Hauptstraßen. Auch wenn -wie Lijiang Old Townin Zhongdian- jedes Haus der Altstadt fremdenverkehrsrelevant genutzt wird, fällt mein Urteil schon nach wenigen Stunden als „empfehlenswert“ aus. Das liegt neben den bezaubernden Altstadt unter anderem natürlich am Kaffee, denn die Yunnan-Provinz hat ihre eigenen Bohnentee, der ausgezeichnet schmeckt.

Das ich Lijiang trotz Massentourismus als so positiv wahrnehme, liegt wohl an meinem Gasthaus: Mama Naxi No. 3, in dem Mama Naxi herself jeden abend lecker & günstig Essen für allemann macht, und an der Tatsache, dass die Altstadt groß genug ist, den Massen aus dem Weg zu gehen. Wenn man das tut, landet man vielleicht auf dem Markt, auf dem man reichlich Leute der lokalen Minderheit der Naxi beim shoppen trifft. (Fotos Lijiang)

Nach ein-zwei Tagen Lijiang hat man dann auch genug Altstadt gesehen, und sollte sich in Richtung der Schlucht des Springenden Tigers begeben. Der zweitägige Hike entlang eines beeindruckenden Gebirgsmassives lohnt sich. Ich lass mal die Bilder sprechen…

Tiger Leaping Gorge

Tiger Leaping Gorge

Shangri La

Shangri La… Shangri La? Irgendwo schonmal gehört, kennt man irgendwie, so wie Fu Manchu, den kennt man auch irgendwie. Jedenfalls den Namen. Der Name Shangri La stammt aus einem Roman von James Hilton, in dem die fiktive Stadt beschrieben wird. Die Stadt Shangri La hieß früher mal Zhongdian. Weil aber die Beschreibung aus dem Roman so gut auf die Stadt passte, benannte man sie kurzerhand um, und konnte sich fortan nicht retten vor Rucksacktouristen, die den Namen vermutlich auch nur irgendwie kannten.

Ein Australier berichtet mir, daß das von KIK-T-Shirts bekannte Surfers Paradise tatsächlich ein Ort in Australien ist. Surfers Paradise hatte früher eine Handvoll Einwohner und hieß Elston. Nach der Umbenennung begann der Aufstieg zum australischen Surfer-Las-Vegas.

Merke: Der Name machts. Auch wenn andere Orte im Zweifel mehr zu bieten haben, gibt es immernoch genug Leute, die auf einen bekannten Namen anspringen.

Shangri La

Was hat Zhongdian nun zu bieten? Kurz gesagt: wenig. Eine überdurchschnittlich hässliche chinesische Stadt mit einer „Altstadt“ aus aufwendig geschnitzen Holzhäusern, die an sich gar nicht so übel wäre, wenn Sie nicht irgendwie den Charme eines Retortenviertels in einem Vergnügungspark hätte. Jedes Gebäude ist entweder ein Hotel, ein Plundergeschäft oder ein Coffeeshop. Was die Qualität des hier angebotenen Kaffees angeht, hat die Stadt endgültig ihre Chance auf ein „ausreichend“ verspielt. Der erste Bus Richtung Lijiang am nächsten Morgen ist meiner.

Ach ja: da fällt mir ein, wo einem der Name Shangri La schonmal begegnet sein könnte: Es ist unter anderem der Name einer Luxushotelkette. Pure Ironie, dass gerade in Shangri La gerade jetzt eins gebaut wird.

Richtung Tibet

Tibet, das gelobte und wahrscheinlich romantisch verklärte Land der Rucksacktouristen ist für Dabize, den Westler gesperrt. Mal ist es das angeblich nicht. Einige sagen, man kann jetzt rein, mein Reiseführer sagt, wenn man es versucht, wird man auch mal gerne von den Ordnungshütern verhauen. Da ich nur auf der Suche nach neuen Eindrücken bin, nicht auf der Suche nach Erleuchtung oder Prügel, muss ich da gar nicht unbedingt rein. Landschaftlich und kulturell kann man sich auf der chinesischen Seite, so las ich, ein gutes Bild machen. Die Busse fahren nur bei Tag, weil das Befahren der Straßen bei Nacht wohl selbst den komplett wahnsinnigen, chinesischen Busfahrern zu gefährlich ist. (wahnsinnig waren bisher alle meine Busfahrer, Stichwort „Blindes Überholen auf holperigen, kurvigen Bergstraßen“)

Drive-By-Shot

Nach dem Verlassen von Chengdu durchfährt der Bus zunächst eine sehr hübsche, nebelige Hügellandschaft, auf deren terrassenartigen, winzigen Feldern überall eine wohlbekannte Pflanze, nämlich – wer errät’s? R**s angebaut wird. Die Rede ist natürlich von Raps. (…ja, ich war auch erstaunt, ist ja wie zu Hause) Die Straße windet sich, gesäumt von saftig grünen Bambussträuchern, weiter ins Hochgebirge. Der Bambus wird von Nadelhölzern abgelöst, diese irgendwann von Büschen, bis nur noch vergilbtes Gras den Fels bedeckt.

Sichuan Tibet Highway

Ich habe das Glück, eine Mitfahrgelegenheit in dem Luxus-Toyota-Geländewagen eines offensichtlich wohlhabenden Chinesen zu bekommen, der unter Dauereinsatz seines Gaspedals und seiner verschiedenen Hupen (für Insider: Regierungshupe!) einen Ritt über die schotterigen Gebirgspisten hinlegte, der uns zwei Tagesetappen in zehn Stunden bewältigen ließ. Vom offiziellen Sichuan-Tibet-Highway biege ich in Litang in Richtung der Yunnan-Provinz nach Süden ab.

Monks On The Road

Highway heißt die holperige Passstraße wohl deshalb, weil sie einen bis in 4700 Meter über den Meeresspigel führt, nicht etwa, weil sie gut ausgebaut ist. Nach insgesamt drei Tagen, über 30 Stunden Bus- oder Autofahrt, einem kleinen Unfall mit einem LKW auf eisglatter Piste, vielen zotteligen Rindviechern und noch mehr fantastischen Ausblicken erreiche ich… Shangri La!

Pandas

Wenn man gegen neun im Panda-Research-Center eintrifft, kann man Pandabären dabei beobachten, wie diese knuffig auf ihrem Hintern sitzen und Bambus knabbern. Geht man weiter, sieht man den Panda-Kindergarten, in dem sich kleine, noch viel knuffigere Pandas aufhalten, die sich bei allem was sie tun so unfassbar doof und tapsig anstellen, dass man sich fragt, wie diese Tiere je in freier Wildbahn überleben konnten.

Pandas

Ein informativer und zugleich ziemlich lächerlicher Film klärt auf: Pandas haben sich im Laufe der Evolution von Fleisch- zu Pflanzenfressern entwickelt, sich dazu auf Bambus spezialisiert und verschmähen dabei 40 der 60 verschiedenen Bambussorten. Durch die Kostumstellung sind sie so träge und energielos geworden, dass sie fortan keine besondere Lust auf Fortpflanzung hatten. Dazu sind sie in freier Wildbahn Einzelgänger, bei der Partnerwahl äußerst wählerisch, haben grundsätzlich Frühgeburten und nehmen ihre Jungen oft nicht an. Um es auf den Punkt zu bringen, die Evolution war mit den Pandas schon länger auf dem Holzweg, denn Pandas gibt es seit acht Millionen Jahren (durchschnittlich existieren Spezies nur fünf Millionen Jahre). Das Glück der Pandas ist, dass sie so eine putzige Erscheinung haben, und sich daher -trotz offensichtlichem Klogriff der Evolution- als Arterhaltungs-Modellprojekt feiern lassen können. Dafür werden die männlichen Pandas betäubt, und mit Hilfe von Elektroschocks und Massagen zum Erguss gebracht, die Weibchen befruchtet, um ihnen nach dem Wurf das 50 bis 100 Gramm schwere Frühchen abzujagen, in den Brutkasten zu legen und zu päppeln, bevor es die Panda-Mama eventuell aus versehen tötet.

Small Pandas

Ich bin kein Feind von Arterhaltungsprogrammen, auch würde ich es nicht als vermessenen Gottkomplex bezeichnen, eine nicht ganz zu unrecht dem Tod geweihte Spezies erhalten zu wollen, jedoch wüde ich ein bischen mehr Aufmerksamkeit für diejenigen Tierarten begrüßen, die auch durch menschlichen Einfluss bedroht, und vielleicht nicht ganz so putzig, dafür aber von der Evolution noch nicht abgeschrieben sind. Die Liste dürfte lang sein.

Update:  Das Mißverhältnis von knuffeliger Öffentlichkeit über den Panda im Vergleich zu beispielsweise dem Gürteltier hat auch einem Blog aus Peking den Namen gegeben. Übrigens mit hervorragenden Photos.

Gen Süden: Sichuan

Die Menschenmassen am Bahnhof sind wie immer ein beeindruckendes Naturschauspiel. Obgleich Chendu, Dreh- und Angelpunkt der Sichuan Provinz, mehr Einwohner hat als Xian, ist das Gewühle überschaubarer und entspannter. Überschaubarer deswegen, weil die Menschen hier auffällig kleiner sind, als im Norden Chinas, und ich daher guten Überblick habe, entspannter wohl deswegen, weil mir beim Verlassen des Zuges eine milde Frühlingsbrise entgegen weht. Es gibt grüne Pflanzen und zwitschernde Vögel, die Stadt ist mir auf Anhieb sympathisch.Selling Fruits Near Train Station Beim Laufen durch die Straßen zu dem sehr empfehlenswerten „Sims Cozy Garden Guesthouse“ fällt auf, dass es hier für alles einen kleinen „Loch-in-der-Wand“-Laden gibt: Zahnärzte, Dunstabzugshauben-Fachgeschäfte, Leuchtreklamenmanufakturen oder Läden für Landvermessungsgeräte. Letztere habe ich zuvor in meinem Leben gesehen, in Chengdu bin ich auf dem Weg zum Hostel an vieren vorbeigelaufen. Vermutlich stieg der Bedarf nach dem Erdbeben, das die Provinz  2008 verwüstet hat, radikal an.

Zu den Highlights gehören ein in riesiger, in den Stein gehauener Budda und natürlich die Panda-Zuchtstation (Panda-Artikel).

Bar in Sims Cozy Hostel

HeadDer Buddha ist mit 70 Metern wirklich bemerkenswert groß. Er wurde auf anraten eines Mönchs in die Klippen gehauen, um den angrenzenden Fluss mit seinen Stromschnellen zu besänftigen, um die Schifffahrt zu erleichtern. Das hat wohl auch vorzüglich funtioniert, vor allem, weil man die anfallenden Schuttmassen in den Fluss gekippt hat.

Für den Besuch ist unbedingt ein Wochentag zu empfehlen, die anderen Fotos (klick aufs Foto…) verrät, warum. (Wir waren am Wochenende da…)

Zehn Busstunden im Norden der Provinz befindet sich der JiuZhaiGou-Nationalpark. Unterwegs durchfährt man das von dem Erdbeben 2008 heimgesuchte Gebiet (Fotos). Die laufenden Bauarbeiten lassen keinen Zweifel daran, dass China tatsächlich 45% des weltweit produzierten Zements verbaut.

Reconstruction After Earthquake in 2008

Waterfalls

Tonsoldaten

Um fünf Uhr morgens erreiche ich das Ende der Seidenstrasse. Besonders viel Charme hat die erste Hauptstadt des geeinten Chinas Xi’an auf den ersten Blick nicht zu bieten. Der Hauch der Jahrhunderte, der diese Stadt wohl einst durchwehte, ist einem nasskalten Geruch nach Autoabgasen gewichen. A lot to repair (Klick: mehr Bilder!)Einzig die intakte Stadtmauer, die rechteckig die modern bebaute Innenstadt umschließt, lässt erahnen, dass die Stadt länger existiert als 50 Jahre. Für den zweiten Blick bleibt keine Zeit. Ich besuche die futuristische Bunkeranlage, die tausende Tonkrieger beherbergt, die dem ersten Kaiser Qin Shihuangdi mit ins Grab gegeben wurden. Die von 700.000 Zwangsarbeitern aufgebaute Grabanlage wurde wohl nicht rechtzeitig zu des Kaisers Tod fertig, trotzdem sind die Massen an Tonsoldaten recht beeindruckend. Die eigentliche Grabanlage soll unter anderem so Wahnsinnsfeatures wie Seen aus Quecksilber bieten, wurde aber, wie ein Großteil der Soldaten,  aus Angst vor Beschädigung noch nicht freigelegt.

Fnoorrrrr…

oder: Schlafen im Sleeper?

Das Geräusch, das schnarchende Menschen von sich geben, gehört zu den widerlichsten, die der menschliche Körper produzieren kann. Akustisch ist man aus China einiges gewohnt, wenn sich aber dieses Geräusch im Sekundentakt wiederholt, während man auf der schulterbreiten Pritsche -die Füße hängen in den Gang- zu schlafen versucht, steigen Hassgefühle von seltener erlebter Intensität in einem auf. Während ER seelenruhig seine regenerierende Tiefschlafphase durchlebt, erzeugt er alle paar Sekunden ein extrem lautes, tiefes, kehliges Rotzgeräusch, um mich am einschlafen zu hindern. Nach einigen Stunden, in denen man sich mit Ohrenstöpseln oder Kopfhörern mit lauter Musik unempfindlich zu machen versucht hat, gibt man auf und hofft bei jedem seiner Atemzüge darauf, dass die ausgeleierten Hautlappen in seiner Kehle seine Atmung endlich für immer beenden mögen.

Feuer-Werk

Chinese New Year

Dass die Chinesen ihr Neujahrsfest nicht nach dem Westlichen Kalender Feiern, hatte ich irgendwo schonmal gehört. Dass sie es lautstark mit Feuerwerk zelebrieren, konnte ich mir aus den in Deutschland als Chinaböller bekannten Knallkörpern zusammenreimen. Dass das Feuerwerk in dieser Nacht seinem Namen alle Ehre machen würde, sollte ich noch herrausfinden.

Das so genannte Spring Festival findet im Winter (Januar oder Februar) statt, ist auf den chinesischen Bauern- oder Mondkalender bezogen und leitet ein neues Tierjahr ein. In diesem Jahr das Jahr des Hasen. Aus diesem Grunde grinsen einem bunte Comic-Hasen aus Pappe von jeder dekorierten Wand an. Hierzulande ist es der höchste Feieratag, und weist in vielen Punkten eine verblüffende Ähnlichkeit mit der westlichen Kombination aus Weihnachten und Silvester auf. Ganz China hat frei und fährt zu seinen Eltern, besucht seine Verwandten, trifft Freunde aus der Heimatstadt, feiert mit der Famile den Jahreswechsel und spielt, so mein Kollege, exzessiv Mahjong. Neben dem spielen und natürlich dem Essen im Kreise der Familie wird heutzutage gerne gereist, so es die Kasse erlaubt, oder Feuerwerk verbrannt. Und das nicht zu knapp.

Feuerwerk

Firework Stand

Das, was sich am chinesischen Neujahrstag hier abspielt ist sehr schwer in Worte zu fassen. Nicht nur, dass man an jeder Straßenecke hüfthohe Mörserbatterien kaufen kann, die auf dem Niveau von einem professionellen Feuerwerk in Europa sind, sie sind dazu spottbillig und jeder kauft, was er sich leisten kann. Eine Woche lang. Am Neujahrstag um 23:00 herrscht Krieg. Würden nicht Heerscharen von Straßenfegern und Alpapiersammlern die Überreste beseitigen, stünden die Papierfetzen von abgebrannten Ketten mit vielen Tausend Knallern wahrscheinlich kniehoch. Im Gegensatz zu vielen Kollegen, die die Neujahrsferien zum Reisen nutzen, verbrachte ich den Jahreswechsel im kleinen Kreis in Shenyang.

Chronik

8:00 Uhr: Ich werde geweckt von einer Reihe Mark erschütternder Explosionen. Der vorige Abend war etwas länger, daher versuche ich, noch ein wenig weiter zu schlafen. Mit mäßigem Erfolg. Die bösen Geister werden mit dem Krach vertrieben. Dummerweise haben sich die böse Geister des Vorabends in meinem Kopf eingenistet und räumen das Feld nicht kampflos.

Fireworks

11:00 Uhr: Ich bewege mich vom Bett zum Sofa, wo ich die nächsten Stunden verbringen werde. Da wir dumm genug waren, nicht reichlich einzukaufen, und alle Läden und Restaurants geschlossen haben, bestellen wir bei dem 24h-McDonalds-Lieferservice. Unsere Gruppe ist klein, und das Gefühl der Verlorenheit in der Achtmillionenstadt, das wir schon von Weihnachten und Silvester kannten, breitet sich aus. Es ist in etwa so, als säßen wir in unserem Wohnzimmer auf dem Meeresgrund, umgeben von den Flammenkorallen des Feuerwerks, die uns immer wieder zum Fenster eilen lassen. Ab und zu kommt der McDonalds-Mann.

17:00 Uhr: Als die Dunkelheit hereinbricht, nimmt das Feuerwerk zu. Die Gebäudebeleuchtung des 219 Meter hohen Dynasty Wanxin Gebäudes gegenüber gibt dessen goldener Fassade seine majestätische Note. Weil wir noch andere Versorgungsengpässe haben, machen wir uns auf den Weg zum Supermarkt auf unserem etwas runtergekommenen Luxus-Compound. Dort angekommen bekommen wir einen ersten Vorgeschmack, was uns erwartet. Wie wahnsinnige Feuerteufel springen Chinesen zwischen Feuerspuckenden Kisten und brennenden „Teppichen“ herum, entfachen immer neue Spektakel. Es regnet Papierfetzen und Sand.

ca. 23:30 Uhr: Als vor dem Hotel gegenüber ein voll beladener Lastwagen seine großen Kisten aus bunt bedrucktem Papier auf zwei Spuren der achtspurigen Straße verteilt, sind wir wieder in unserem Wohnzimmer, ca. 70 m über dem Meeresgrund. Der nun folgende Angriff  ist von beängstigender Schönheit. Der Knall, mit dem sich die Feuerblumen nur wenige Meter vor unseren Gesichtern entfalten, geht durch Mark und Bein, die bunt leuchtenden Kugeln hinterlassen graue Brandspuren, als sie an mein Schlafzimmerfenster treffen.

Firework close to OUR building

ca. 1:00 Uhr: Das Feuerwerk lässt nach, und aus einer Art Silvester-Reflex verlassen wir unsere Wohnung, um das Nachtleben der Neujahrsfeier zu erkunden. An der Straße warten wir auf ein Taxi. Das einzige was wir sehen, ist eine zunehmende Anzahl an Feuerwehrfahrzeugen. Wir sehen nach. Ein gelblicher Schimmer in der von Pulvernebel dunstigen Luft verrät es:  die uns abgewandte Seite des Turm B des Wanxin Dynasty Buildings steht über eine Höhe von gut 20 Stockwerken in Flammen. Beeindruckt von dem zerstörerischen Hunger des Feuers, das nach und nach auf den mittleren der 3 Türme übergeht, stehen wir ca 100 Meter entfernt, bis uns ein Hagel aus brennenden Blechstücken der Fassadenverkleidung zum Rückzug zwingt.

The Fire

ca. 3:00 Uhr: Auf Umwegen gehen wir zurück in unsere Apartments, weil die Gegend weitläufig abgesperrt ist. Unterwegs treffe ich einen Bekannten, der im Pyjama mit Daunenjacke und fassungsloser Mine den brennenden Turm B anstarrt. Abgesehen von den Kleidern am Leib hat ihn das Schicksal gerade von all seinem materiellen Ballast befreit, er wohnte im 17. Stock. Er erzählt mir, dass weder Rauchmelder noch Sprinkleranlage in dem nur wenige Jahre alten Gebäude funktioniert hätten. Damit haben die Flammen leichtes Spiel, denn der längste Löschausleger der Feuerwehr reicht nur auf 50 Meter hinauf – bei über 200 Meter Gebäudehöhe.

ca. 4:00 Uhr: Die folgende Stunde stehen wiederholt sechs Polizisten in unserem Appartment, die uns zum verlassen des Gebäudes überreden wollen. Da uns der Einsturz unseres Gebäudes weniger wahrscheinlich erscheint, als bei tiefen Minusgraden auf der Straße zu erfrieren, kommen wir, abermals auf Umwegen, wieder in unsere Wohnung.

ca. 6:00 Uhr: Als abzusehen ist, dass der Brand unter Kontrolle ist, lege ich mich schlafen.

Smokingca. 7:00 Uhr: Lauter Krach weckt mich. Panisch falle ich aus dem Bett und renne zum Fenster, den einbrechenden Turm schon vor Augen. Der Turm steht noch, friedlich vor sich hin qualmend. Jemand hat die erste Bombenkette des Tages gezündet. Das Feuerwerk geht weiter.

Links

Guter Artikel über das Feuer im Wall Street Journal

Schall und Rauch

Dass Namen Schall und Rauch sind, rede ich mir auch immer gerne ein, weil ich Sie mir fast so schlecht merken kann, wie Jahreszahlen. Hätte jedenfalls Goethe (oder sein Herr Dr F.) die Möglichkeit gehabt, das Shenyang des 21. Jahrhunderts zu bereisen, so wäre er zweifelsohne zu dem Schluss gekoemmen, dass diese Metapher nicht nur auf Namen passt, sondern auch sehr gut auf Shenyang.

Schall

Oder auch: Hupen. In Deutschland kann es einem gut passieren, dass man einen Defekt an seiner KFZ-Hupe zunächst nicht besonders schnell bemerkt. Vielleicht sogar erst bei der Hauptuntersuchung, so selten ist sie in Gebrauch. In Shenyang käme der Ausfall der Hupe eines Autos in etwa dem Verlust aller Rückspiegel und Scheinwerfer gleich. Der chinesische Autofahrer blickt nur nach vorne. In alle anderen Richtung wird gehört. Erklingt nach dem Einschlagen auf eine Nachbarspur kein Hupen hinter einem, so hat man frei Fahrt. Ähnlich einer Fledermaus orientiert man sich hier mittels Schall. Zugleich ist die Hupe wie in Deutschland ein Ventil für Wut und Angst, wird nur deutlich häufiger verwendet.  Auch habe ich schon Taxifahrer an einer roten Ampel in fünfter Reihe dauerhupen hören, ohne dass wenigstens theoretisch die Chance auf ein Vorankommen bestanden hätte.

Es gibt viele weitere Beispiele für Lärm, die teils auf Shenyang, teils auf ganz China zutreffen. Eher Shenyangspezifisch ist wohl, dass sich die Geschäfte in den Einkaufsstraßen (den westlichen übrigens sehr ähnlich) mit dem Schalldruck ihrer Pop- und Technomusik gegenseitig zu übertreffen versuchen. Das ganze ergibt ein wirred Dezibel-Inferno, das bei Ruhe liebenden Menschen sofortiges erbrechen auslösen muss. Weitere Quellen akustischen Terrors sind Handyklingeltöne oder Megaphone von Strassenverkäufern. Nach einigen Wochen schafft man es allerdings zumeist mühelos, die spontane Lust, gegen die Lärmquellen mit Gegenständen oder nackten Fäusten vorzugehen, zu unterdrücken. Man freut sich daran, ein Stück gelassener geworden zu sein.

Rauch

Gelassener werden muss man auch in Sachen Rauchtoleranz. In China raucht man wenig, aber dafür oft, und dann viel.* Wie liberal das Thema Rauchen hier gehandhabt wird, beschreibt dieser Tagesschau-Artikel sehr zutreffend. In einem Restaurant wird in einer Essenspause gerne mal eine geschmökt, natürlich auch danach, geascht wird auf den Boden oder auf leer gegessene Teller. Zigaretten werden allen angeboten, Zigaretten sind auch beliebte Geschenke, die Pro Schachtel dann statt 60 Cent happige 8 Euro oder mehr kosten. Die Tabakläden in denen es diese aufwändig vergoldeten Prunkzigaretten gibt, sind luxuriös mit Regalen aus edlen Hölzern und Halogenspots ausgestattet. Soviel Wert auf Ambiente legt man normalerweise eher selten im chinesischen Einzelhandel. Geraucht wird auch im Spa-Bereich eines Badehauses oder in der Umkleide eines Fitnessstudios.

Wer beim Lesen der Einleitung an Smog oder schlechte Luft gedacht hat: Die Luft in Shenyang ist ziemlich gut (jedenfalls draussen), um längen besser als in Peking. Nur manchmal, wenn die gelbliche Rauchfahne des zentral gelegenen, riesigen Kohlekraftwerks über mein Viertel treibt, riecht es unschön nach Schwefel.

China//Internet

Dass die chinesische Führungsriege den Nutzen des Internets besser verstanden hat, als man das von den meisten deutschen Politikern behaupten kann, habe zum ersten mal bemerkt, als ich mit einem inneren Grinsen die Broschüre „Das Internet in China“*aus einem Infoständer im Visabüro der chinesischen Botschaft in Hamburg zog. Diese Broschüre berichtet ausführlich und in stolzem Ton von dem Erreichen des Plansolls in Sachen Netzausbau und Netzabdeckung für mobiles Internet, vor allem in ländlichen Gebieten**. Die Zensur wurde nur in einem kurzen Absatz erwähnt; sinngemäß hieß es, dass es die chinesische Führung für nötig hält, das Angebot des Internets einzuschränken. Stimmt wohl.

In China spricht man auch gerne von der Harmonisierung des Internets oder dem Goldenen Schild. Wenn es um blumige Neusprech-Kreationen geht, macht den chinesischen Propagandabehörden so schnell keiner was vor. Da ich nicht besonders qualifiziert bin, mich über die technische Seite der Zensurinfrastruktur auszulassen, werde ich nur aus der Sicht eines Nutzers berichten. Dass es in China eine Zensur des Internets gibt, war mir die ganze Zeit klar, allerdings nicht das Ausmaß derselben. Um es kurz zu machen, das Internet ist zu sehr weiten Teilen wie gewohnt nutzbar: Onlinebanking, Flugbuchungen, Webzugriff auf Emailprovider oder Google.de sind (fast) kein Problem. Auch wenn die Seiten der deutschen und internationalen Presse in der Regel erreichbar sind, der ungehemmte Informations- und Meinungsaustausch wird zu verhindern versucht:

Folgende, mir wichtige Seiten oder Services sind nicht erreichbar (unter vielen anderen):

  • twitter
  • facebook
  • youtube
  • die Domain des Chaos-Computer-Clubs
  • der download vom Verschlüsselungsprogramm Truecrypt
  • der Mailversanddienst von GMX (SMTP)
  • temporär die Seiten von BBC oder CNN oder anderen westlichen Medien (vermutlich solange unbequeme Nachrichten auf der Startseite erscheinen)
  • picasa

Folgende wichtige Seiten sind nur teilweise zu laden oder auffällig langsam:

  • Wikipedia
  • flickr.com
  • die Mediathek der öffentlich-rechtlichen

Gerade durch den erschwerten Zugriff auf Nachrichten, Magazinsendungen und Dokumentationen via Youtube und Mediathek fühle ich mich besonders gepiesackt, sind diese doch sonst so bequeme Informations- und Bildungsquellen.

Parallelgesellschaft

Das Gros der Chinesen nimmt das Internet gar nicht so sehr als zensiert war, denn es gibt ein chinesisches Google (Baidu), ein chinesisches Facebook (Renren), ein chinesisches Ebay (TaoBao), ein chinesisches ICQ (QQ),  ein chinesisches Youtube (Tudou) und neuerdings ein chinesisches Twitter, betrieben und harmonisiert von der Regierung. Der Messengerdienst QQ ist dabei so beliebt, dass man von jungen Leuten eher nach seiner QQ-Nummer als nach seiner Handynummer gefragt wird.

Jumping the Wall

…so nennen es chinesische Bekannte, wenn Sie ihre nationale Great Firewall hinter sich lassen um unharmoniesierte Datenwelten zu bereisen. Was Sie dort machen, habe ich noch nicht gefragt. Aus Angst diese in Verlegenheit oder Schwierigkeiten zu bringen, verkneife ich mir in der Regel Fragen zu politischen Themen, zumal diese auch bei ungeschickter Formulierung als westliche Überheblichkeit durchgehen können. (Der Konfuzianist kehrt erstmal vor der eigenen Haustür…) Offensichtlich lässt sich der Meinungsaustausch im harmonisierten Netz auch nicht ganz verhindern, wie dieser Artikel zu berichten weiß.

Die gängigen Mittel, über die Mauer zu springen, sind bei den Deutschen natürlich VPNs, also verschlüsselte Tunnel, deren Ausgänge an deutschen Knotenpunkten liegen, meist den Unis. In meinem Fall ist mein Uni-Netz so beschränkt und verstümmelt, dass es vollkommen unbenutzbar ist, daher hab ich meinen eigenen VPN-Knoten ohne Restriktionen, dafür mit sehr überschaubarer Bandbreite (DSL-Upstream). Eine weitere Alternative sind werbegespickte Tunnelseiten (vtunnel.com) oder kostenpflichtige VPN-Anbieter wie Swiss-VPN (Gröߟenordnung 6€/Monat). Bei einer armseligen Bandbreite -also in meinem Fall- bietet sich für den Youtube-Konsum ein Download-Plugin für die Videos an, um gemütlich im Hintergrund laden zu können.

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*) Die Broschüre liegt beim Verfassen dieses Textes nicht vor, Angaben zu Namen und Inhalt sind aus dem Gedächtnis rezitiert.

**) Das die Broschüre hier nicht lügt, zeigt sich an einer Eigenheit: der mobile Onlinezugriff (Kosten ca 2€ für 150MB pro Monat) scheint besser zu sein, wenn man sich von den strukturstarken Ballungsräumen wegbewegt. Vielleicht liegt das daran, dass die dort plangemäß aufgebaute Infrastruktur nicht so überlastet ist, wie in den Großstädten mit ihren vielen, reichen HTC- und iPhone-Besitzern. Soweit ich mich erinnere, verhält es sich mit der Netzqualität Deutschland eher umgekehrt… jedenfalls bekommt man was für sein Geld, flickr ist über das mobile Netz ohne Probleme zu erreichen,  im Kabelnetz ist das nicht der Fall.