Dass Namen Schall und Rauch sind, rede ich mir auch immer gerne ein, weil ich Sie mir fast so schlecht merken kann, wie Jahreszahlen. Hätte jedenfalls Goethe (oder sein Herr Dr F.) die Möglichkeit gehabt, das Shenyang des 21. Jahrhunderts zu bereisen, so wäre er zweifelsohne zu dem Schluss gekoemmen, dass diese Metapher nicht nur auf Namen passt, sondern auch sehr gut auf Shenyang.
Schall
Oder auch: Hupen. In Deutschland kann es einem gut passieren, dass man einen Defekt an seiner KFZ-Hupe zunächst nicht besonders schnell bemerkt. Vielleicht sogar erst bei der Hauptuntersuchung, so selten ist sie in Gebrauch. In Shenyang käme der Ausfall der Hupe eines Autos in etwa dem Verlust aller Rückspiegel und Scheinwerfer gleich. Der chinesische Autofahrer blickt nur nach vorne. In alle anderen Richtung wird gehört. Erklingt nach dem Einschlagen auf eine Nachbarspur kein Hupen hinter einem, so hat man frei Fahrt. Ähnlich einer Fledermaus orientiert man sich hier mittels Schall. Zugleich ist die Hupe wie in Deutschland ein Ventil für Wut und Angst, wird nur deutlich häufiger verwendet. Auch habe ich schon Taxifahrer an einer roten Ampel in fünfter Reihe dauerhupen hören, ohne dass wenigstens theoretisch die Chance auf ein Vorankommen bestanden hätte.
Es gibt viele weitere Beispiele für Lärm, die teils auf Shenyang, teils auf ganz China zutreffen. Eher Shenyangspezifisch ist wohl, dass sich die Geschäfte in den Einkaufsstraßen (den westlichen übrigens sehr ähnlich) mit dem Schalldruck ihrer Pop- und Technomusik gegenseitig zu übertreffen versuchen. Das ganze ergibt ein wirred Dezibel-Inferno, das bei Ruhe liebenden Menschen sofortiges erbrechen auslösen muss. Weitere Quellen akustischen Terrors sind Handyklingeltöne oder Megaphone von Strassenverkäufern. Nach einigen Wochen schafft man es allerdings zumeist mühelos, die spontane Lust, gegen die Lärmquellen mit Gegenständen oder nackten Fäusten vorzugehen, zu unterdrücken. Man freut sich daran, ein Stück gelassener geworden zu sein.
Rauch
Gelassener werden muss man auch in Sachen Rauchtoleranz. In China raucht man wenig, aber dafür oft, und dann viel.* Wie liberal das Thema Rauchen hier gehandhabt wird, beschreibt dieser Tagesschau-Artikel sehr zutreffend. In einem Restaurant wird in einer Essenspause gerne mal eine geschmökt, natürlich auch danach, geascht wird auf den Boden oder auf leer gegessene Teller. Zigaretten werden allen angeboten, Zigaretten sind auch beliebte Geschenke, die Pro Schachtel dann statt 60 Cent happige 8 Euro oder mehr kosten. Die Tabakläden in denen es diese aufwändig vergoldeten Prunkzigaretten gibt, sind luxuriös mit Regalen aus edlen Hölzern und Halogenspots ausgestattet. Soviel Wert auf Ambiente legt man normalerweise eher selten im chinesischen Einzelhandel. Geraucht wird auch im Spa-Bereich eines Badehauses oder in der Umkleide eines Fitnessstudios.
Wer beim Lesen der Einleitung an Smog oder schlechte Luft gedacht hat: Die Luft in Shenyang ist ziemlich gut (jedenfalls draussen), um längen besser als in Peking. Nur manchmal, wenn die gelbliche Rauchfahne des zentral gelegenen, riesigen Kohlekraftwerks über mein Viertel treibt, riecht es unschön nach Schwefel.