Wäre meine Unsterbliche Seele™ vor meiner Geburt nicht in einen abendländischen Körper eingefahren, sondern in den eines unterdurchschnittlich wohlhabenden Chinesen, könnte meine Abendgestaltung in etwa so aussehen: An einem lauen Abend würde ich im Kreise meiner Freunde auf einem breiten, innerstädtischen Gehweg oder in einer Seitengasse auf niedrigen Klapphockern sitzen und Karten oder chinesisches Schach spielen. Zum essen gäbe es Grillspiesse von einer kleinen Garküche. Dazu würden kalte und eingelegte Salate (ähnlich Kimchi) und reichlich Bier und chinesischer Reisschnaps gereicht. Als Fingerfood wären eingelegte Erdnüsse oder Bohnenschoten die erste Wahl. So sitzend und trinkend liesse es sich bis spät in die Nacht aushalten. Wäre ich einer der überdurchschnittlich reichen Chinesen, sähe der Plan sehr viel westlicher aus: mit teuren Autos in teure Diskotheken fahren, um dort möglichst wirksam sehr teure Getränke zu kaufen (flambierte Gläserpyramiede, Fünfliterflasche Edelvodka, Hauptsache: Auffallen). Die Diskotheken kosten keinen Eintritt und sind vollgestopft mit blinkenden Kronleuchtern, Bildwänden, haufenweise DJs, Livesängern und teils sehr peinlichen Showacts, die wohl besonders unverkrampft wirken sollen. Will man sich an einen Tisch setzen, muss man den erst mieten. Mieten kann man auch die Hinterzimmer, in denen man seine privaten KTV, also Karaoke-Feten zelebriert (Nutten/Koks?). In solchen Clubs kostet ein Bier mitunter soviel, wie der ganze Abend in der Garküche. Die Musik ist eine, meist mit House-Beat unterlegte Mischung aus betagtem Pop, den Clubcharts, Sino-Schlagern und Evergreens. Was in diesen Clubs auffällt, ist der (sonst in China nicht sehr ausgeprägte) Hang zur technischen Perfektion. Beschallung, Beuchtung und Einrichtung sind durchgängig auf vergleichweise sehr hohem Niveau. Die dritte Möglichkeit, den Abend zu verbringen ist, nach Einbruch der Dunkelheit einem Park aufzusuchen. Hier trifft man auf Leute aus allen Altersgruppen, die zu Musik aus mitgebrachten Stereoblastern Formations- oder Standardtänze einüben. (Dazu siehe auch: Sport) Klassisch westliche Bars sind rar und meistens fast ausschließlich von Westlern oder westlich geprägten Chinesen besucht. Ein chinesischer Arbeitskollege mit Ziegenbärtchen, der sich als Verneigung von der skandiavischen Metalszene den West-Namen Sven gab, sagte mir, dass es vor ein paar Jahren, als er noch seine (übrigens durchaus hörenswerte) Metalband (Link folgt!) in Dalian hatte, auch in Shenyang noch einige Musikkneipen gab, diese aber inzwischen geschlossen hätten. In -durch Status oder Geschichte- westlich orientierteren Städten wie Peking oder Shanghai ist das Spektrum der Möglichkeiten für die Abendplanung natürlich ungleich größer. Mehr dazu kommt noch.
Ein Gedanke zu „Nachtleben in China“
Kommentare sind geschlossen.
Damn! Die Öffnung Chinas gegenüber dem Westlichem »Kapitalismus« macht auch vor einer Kulturrevolution nicht halt. ;)